Ernst Caramelle

Musik von allen Seiten

Seit meinen Anfängen hat der akustische Teil unserer Wahrnehmung einen Platz in meiner künstlerischen Arbeit. Das „conzert für klavier und gespräch“ (1974) beschäftigte sich mit Klangfolgen und Tonexperimenten und bei „Resümee“ (1976) gibt es eine Audiokassette mit Aufnahmen vom Almabtrieb. Auch bei der Installation mit dem Titel „Sculpture MMIIRROOIiRR“(1984) entsteht durch den Klang einer nicht sichtbaren Glocke ein quasi imaginärer Raum. Musik der unterschiedlichsten Richtungen hat mich immer schon interessiert und seit ich auch in New York lebe, bin ich vermehrt mit Jazz in Berührung gekommen.

Die Konzerte mit Miles Davis, Ornette Coleman, Steve Lacy und anderen sind unvergesslich. Bei meiner Ausstellung in der Kunsthalle Bern 1986 habe ich dann auch Steve Lacy für ein Solo Konzert eingeladen, ebenso für eine Ausstellung in der Secession in Wien 1994. Jazz hat für mich sehr viel mit bildender Kunst zu tun, eine offene, freie Form und gleichzeitig eine klare Komposition. Hier möchte ich Dave Brubeck zitieren: „You have to have discipline to reach freedom“ das gilt auch für jede Art von Kunst.

1) Welcher Grundidee liegt den Face-Skulpturen zugrunde? Warum sind sie gerade in jener Zeit entstanden, als Sie in New York Ihr Atelier bezogen hatten?

Die vereinfachte Form eines Gesichtes besteht aus zwei Punkten und einer Linie. Reduktion auf das Wesentliche. Das ist die Grundidee. Faces tauchen schon in der frühen „Blättern“ auf und seit 1979 sind auch drei in meinem Atelier in New York permanent installiert. Faces sind eine immer wiederkehrte Formalisierung in immer anderen Zusammenhängen und Medien (Video/Zeichnung/Malerei).

2) Was bedeutet für Sie das Medium der Zeichnung? Was kann es gegenüber anderen Kunstformen?

Ein ganz spezifischer Bereich und fast auch der wichtigste Teil meiner Arbeit. Mit dem Schwung eines großen Gedankenpotentials entsteht in drei bis vier Minuten eine Zeichnung die in sich abgeschlossen ist und nicht die Vorstufe für etwas Anderes darstellt. Noch etwas: da zum Beispiel der Bleistift spitz ist und die Linien dünn, bleibt folglich das Ergebnis klein und der Transport einfach.

3) Ihre Zeichnungen sind gespickt mit verschiedenen Elementen wie Wortwitz, Comic und sprachlichen Anspielungen. Wo holen Sie sich diesbezüglich Inspirationen her?

Diese Elemente holen mich und der Einfluss kommt von Außen und Innen, er geht vom Bewussten zum Unbewussten, spielerisch.

4) Warum bevorzugen Sie bei Ihren Malereien Holz, Karton oder die Wandfläche statt der klassischen Lein￾wand als Bildträger?

Karton oder Holz sind näher an der Wand und die Malereien (Gessopieces) werden dadurch stärker mit dem realen Raum verbunden. Eine quasi konzeptuelle Malerei als Pendant der Wandmalerei. Die Auswahl der Bildträger ist von jeweiligen Konzept abhängig, nichts wird bevorzugt oder ausgegrenzt.

5) Beschreiben Sie das Verfahren, das sie in den Gesso Pieces anwenden:

Gesso ist der Malgrund. Wasserfarbe, Acryl, Tinte, Bleistift, Tusche etc. die verwendeten Techniken. Die Gessopieces entstehen meistens in mehreren Schichten durch Auftragen und Abwaschen von Farben über einen längeren Zeitraum, kann aber auch umgekehrt passieren.

6) Zeitliche Faktoren und natürliche Einflüsse sind elementarer Bestandteil der sogenannten Lichtarbeiten. Wie entstand die Grundidee der Lichtarbeiten und was sollen Sie hier den Betrachter:innen vermitteln?

Bei den Lichtarbeiten (Sonne auf Papier) interessiert mich der Entstehungsprozess: dass die Sonnedurch die Bleichung des Papiers über einen langen Zeitraum die Farbe verändert ein Werk also nicht durch Addition, sondern durch Substraktion entsteht. Auch die Ver￾gänglichkeit ist Teil des Konzepts, wenn die Arbeiten dem Sonnenlicht ausgesetzt sind, verschwinden sie langsam.

7) Das Spiel mit Original und Fälschung, Produktion und Reproduktion spielt in ihrem Werk eine maßgebliche Rolle? Warum setzten Sie sich derart intensiv damit auseinander?Was ist die Wirklichkeit? Was ist die Wahrnehmung? Was sieht man?

Alles ist in Wirklichkeit nicht wirklich. Schon früh haben mich diese Fragen beschäftigt, siehe „Forty Found Fakes“ aus dem Jahre 1978, wo Abbildungen, die ursprünglich nichts mit Kunst zu tun hatten, Abbildungen von Kunstwerken sein könnten. Aber grundsätzlich ist auch die Reproduktion von eigenen „Orginalen“ (Postkarten, Plakate, Publikationen) ein wesentlicher Teil meiner Arbeit. Jedes Medium hat seine eigene Bedingung und wird auch unterschiedlich behan￾delt.

8) Inwiefern beziehen Sie immer auch den Raum und das Publikum in ihre Arbeiten mit ein?

Der Raum gibt den Rahmen zur Ausstellung von Werken und ist zugleich Bildträger für eine Malerei oder einer Installation, die nur im realen Raum erlebt werden kann. Der Betrachter ist somit Teil des Kunstwerks.